Autor: Christian Gyamfi

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Vorläufige Überlegungen

Die Botschaft von Weihnachten beinhaltet eine tiefe theologische und existenzielle Erkenntnis, nämlich die Aufmerksamkeit wieder auf die wichtigen Dinge in der Gesellschaft und im eigenen Leben zu lenken! Auf der ganzen Welt feiern Länder dieses große Fest aus unterschiedlichen Gründen. Für manche ist es eine Gelegenheit, sich mit Familienmitgliedern zu treffen, Freunde und Angehörige bzw. Partys und Musikfestivals zu besuchen oder an kirchlichen Aktivitäten teilzunehmen. Die oben genannten Gründe mögen für das Leben der Menschen relevant sein. Dennoch möchte ich mich mit der tiefen sozialen Bedeutung von Weihnachten auseinandersetzen. Bei einer kritischen Betrachtung der theologischen Botschaft von Weihnachten bin ich zu der Erkenntnis gelangt, dass diesem großen Fest eine grundlegende Logik zugrunde liegt, nämlich die Rolle der menschlichen Wahrnehmung und Aufmerksamkeit im Alltag.

Im Wesentlichen verlassen sich Menschen auf ihre Wahrnehmungsfähigkeiten, um ihr tägliches Leben zu organisieren und sich in der Welt zurechtzufinden. Die Wahrnehmung ist konstitutiv für die menschliche Erfahrung. Der Grund dafür ist, dass der Mensch sich auf diese wichtige kognitive Fähigkeit verlässt, um seine Welt zu verstehen. Sehen, Hören usw. sind fest in der Struktur der menschlichen Alltagserfahrung verankert. Der Mensch spricht, sieht und hört, und dies gibt einen deutlichen Hinweis auf die Natur seines Bewusstseins. Der Mensch ist ein bewusstes Wesen, das durch Kommunikation und seine Wahrnehmungsfähigkeiten mit seiner unmittelbaren Umgebung interagiert. Auf der Grundlage dieser menschlichen oder anthropologischen Realität bezeichne ich die soziale Botschaft von Weihnachten als eine unerlässliche Dimension, nämlich die Aufforderung zur sozialen Neuorientierung, d.h. eine Neuausrichtung unserer Wahrnehmung und Aufmerksamkeit im sozialen Raum. Es geht um den Umgang mit der Natur unserer Wahrnehmung und der Dinge, die unsere Aufmerksamkeit im Alltag auf sich ziehen. Der Grund dafür ist, die Menschen in der Gesellschaft dazu zu bewegen, die Dinge, denen sie ihre Aufmerksamkeit schenken, neu zu betrachten und herauszufinden, ob diese Dinge wirklich diese Aufmerksamkeit verdienen oder nicht.

Vor diesem Hintergrund handelt dieser Beitrag von einer tiefgründigen Reflexion über die Geschichte der Geburt Jesu, genauer gesagt über die Geschichte seiner Geburt in einer Krippe, die dann als Gegenstand und Ausgangspunkt für die Reflexion über das betreffende Thema dient.

Theologie der Krippe – „Ihr werdet ein Kind finden, das in Windeln gewickelt in einer Krippe liegt.“ (Lk 2,12). 

Der Geschichte zufolge reisen Maria und Josef von Nazareth nach Bethlehem, um an der von Kaiser Augustus angeordneten Volkszählung teilzunehmen. Marias Schwangerschaft stand kurz vor dem Ende, und laut der Geschichte „gab es für sie keinen Platz in der Herberge“. Infolgedessen musste Maria ihren Sohn in einer Krippe, einem Futtertrog für Tiere, zur Welt bringen. Die Krippe ist kein idealer Ort oder Rahmen für eine Geburt. An dieser Stelle könnte man fragen: Gab es denn außer der Krippe oder dem Futtertrog für Tiere keinen anderen Platz? Die wahrscheinliche Antwort auf diese Frage liegt in der Aussage: „Es war für sie kein Platz in der Herberge (Privatunterkunft) – Lk 2,7“. Diese Aussage impliziert, dass Maria und Josef bei ihrer Suche nach einem geeigneten Ort, um ihr Kind zur Welt zu bringen, möglicherweise von Menschen abgewiesen wurden. Darin liegt die soziale Logik von Weihnachten: Eine schwangere Mutter und ihr schutzbedürftiges Baby, die dringend Hilfe und Aufmerksamkeit benötigten, erhielten keine. Es könnte durchaus sein, dass die Privatunterkünfte oder Gästezimmer aufgrund der Menschenmassen, die zur Volkszählung nach Bethlehem gereist waren, belegt waren. Selbst wenn das der Fall wäre, schließt das dennoch nicht aus, dass die Menschen, die die Herberge oder das Gästezimmer bewohnten, ihre Aufmerksamkeit auf etwas anderes richteten als darauf, einen Platz für die schwangere Frau in den Wehen zu schaffen. Hierbei frage ich mich: Was um alles in der Welt haben die Menschen in der Herberge oder im Gästezimmer gedacht, dass sie es nicht für nötig hielten, einen Platz für eine schwangere Frau zu schaffen, die unter qualvollen Schmerzen litt? Ich denke, dass dies eine Frage der Wahrnehmung- und Aufmerksamkeitslage der Menschen ist! 

In symbolischer Sprache weist die Geburt Jesu in einer Krippe auf das Paradox der sozialen Erfahrung hin: Manchmal konzentrieren sich Gesellschaften auf Dinge, die wenig oder gar keine Aufmerksamkeit erfordern, und vernachlässigen diejenigen, die höchste Aufmerksamkeit und schnelles Handeln erfordern. Das heißt, manche Gesellschaften bieten bewusst oder unbewusst genügend Raum für Dinge, welche nicht wichtig sind, bleiben aber gleichgültig oder unaufmerksam gegenüber denen, die notwendig und lebensrettend sind. Wie Maria gibt es schwangere Frauen, die maximale Aufmerksamkeit benötigen! Leider gibt es Länder, in denen die Regierungen der Finanzierung großangelegter politischer Kampagnen, persönlicher Zuwendungen, auffälliger Ausschüsse und verschwenderischer Feierlichkeiten höchste Aufmerksamkeit schenken, auf Kosten der Entbindungsstationen, welche Renovierung bzw. Verbesserung dringend benötigen. Wie Maria bringen einige schwangere Mütter ihre Kinder immer noch in einer „Krippe“ zur Welt, nämlich in medizinischen Zentren oder Krankenhäusern mit sehr schlechter und veralteter medizinischer Ausstattung und manchmal mit unzureichenden Betten, sodass manche Mütter vor oder nach der Entbindung auf dem Boden schlafen müssen. Was Maria widerfahren ist, gehört wahrlich nicht der Vergangenheit an, sondern ist nach wie vor Realität, und das ist einer der Gründe, warum die Müttersterblichkeit in einigen Gesellschaften so hoch ist. Abgesehen von schwangeren Müttern kann man von Familien, Lohnarbeitern, Menschen mit Behinderung und Straßenkindern sprechen, deren tägliche existenzielle Notlage ignoriert und unbeachtet bleibt. Daher die mangelnde Aufmerksamkeit. Dies führt dann zur Logik von Weihnachten: Im Gegensatz zu den Menschen in der Herberge oder im Gästezimmer, die der ‚schwachen Lage‘ Marias wenig oder gar keine Beachtung schenkten, sollen Gesellschaften, Regierungen oder Einzelpersonen daher ihre Wahrnehmungsgegenstände (die Dinge, die ihnen im Alltag begegnen) neu ordnen oder die Richtung ihres Fokus neu ausrichten, indem sie ihn auf Dinge richten, die dringend Aufmerksamkeit erfordern. Aufmerksamkeit ist mehr als nur Hinsehen! Vielmehr geht es darum, sensibel und reaktionsfähig gegenüber wichtigen Dingen zu sein. „Hier ist Aufmerksamkeit eine moralische Fähigkeit, die es einem Menschen ermöglicht, wahrzunehmen, was die Situation erfordert, um richtig zu handeln“. 

Letztendlich scheint es mir, dass wir in einer Welt leben, in der die Menschen allmählich ihren Sensibilitätskompass verlieren, weil ‘unwichtige Dinge’ sich wie ein Lauffeuer verbreiten. Und die Menschen neigen dazu, diese Dinge zu verbreiten und ihnen mehr Aufmerksamkeit zu schenken, auf Kosten der Dinge, die wichtig sind und maximale Aufmerksamkeit erfordern. Was bisher gesagt wurde, deckt sich mit dem, was Jordan Peterson über Wahrnehmung gesagt hat: „Wir nehmen die Welt durch eine Wertehierarchie wahr, die Informationen automatisch filtert“. In diesem Zusammenhang ist die Geschichte von Jesus, der in einer Krippe geboren wurde (da Maria keinen angemessenen Ort für die Geburt fand, weil die Herberge voll war und ihrer prekären Lage wenig oder gar keine Beachtung geschenkt wurde), eine Geschichte der Neuausrichtung oder Umorientierung unserer Wahrnehmung in unserem täglichen sozialen Leben, indem wir unsere sozialen und wahrnehmungsbezogenen Erfahrungen filtern und so unseren Geist und unsere Augen auf wichtige Dinge in der Gesellschaft richten oder ihnen besondere Aufmerksamkeit schenken. Die Welt ist wahrlich geprägt von einer Vielzahl an Herausforderungen, jedoch ist nicht jedes Anliegen zwangsläufig von signifikanter Relevanz und erfordert eine unmittelbare Aufmerksamkeit und Sorge. Achtet auf das Wesentliche und schenkt darauf die erforderliche Achtung!        

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